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SPORT WIRD ZUM LUXUSPROBLEM
Sport nicht wie gewohnt betreiben zu können, ist zurzeit ein Luxusproblem. Das ist mir während der vergangenen Tage klar geworden. Es geht um mehr, als um Wattwerte, Zeiten und sportliche Siege. Es geht auch um mehr als die Olympischen und Paralympischen Spiele, wenngleich diese für mich und viele andere Sportler weltweit während der vergangenen vier Jahre der Lebensinhalt, das alles überragende Ziel waren. Die Fußball-Europameisterschaften sind abgesagt. Viele internationale aber auch kleine sportliche Wettbewerbe und Veranstaltungen ebenso. Und nun sogar etwas so Großartiges, wie die Spiele. Das alles zeigt, worum es auf der Welt wirklich geht. Um Gesundheit und Gemeinschaft, um Selbstlosigkeit und Solidarität – momentan für viele ums Überleben.

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PERSPEKTIVWECHSEL
Als ich vor einigen Tagen noch auf Lanzarote war, um mich dort in einem Trainingslager auf Weltcups und auf die Paralympics im Sommer vorzubereiten, wurde mir all das sehr schnell vor Augen geführt. Um die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen, wurde eine Ausgangssperre angeordnet. Wir durften außerhalb des Hotels nicht Rad fahren. Überall kontrollierte die Polizei die Einhaltung. Der Hotel-Pool wurde wenige Tage später geschlossen. All das und die Absage der Spiele an sich habe ich sehr schnell akzeptiert. Auch andere Triathleten, die sich zunächst noch darüber geärgert hatten, ihr Training nicht mehr wie geplant absolvieren zu können, hatten schnell ein Einsehen. Radtraining gab es nun nur noch auf der Rolle und gejoggt wurde auf einer 900 Meter Runde des Hotelgeländes. Durch meine Nierenbeckenentzündung, die mich während der ersten Woche plagte, konnte ich die ganze Situation aus einer völlig anderen Perspektive betrachten. In mein Blickfeld rückten dabei sehr schnell diejenigen, die durch drohende Schließung des Hotels kurz vor der Arbeitslosigkeit standen. Beeindruckend, wie sie bis zuletzt alles gaben, um es uns Gästen so angenehm wie möglich zu machen. Sie stehen am Rande ihrer Existenz – und ließen es sich nicht anmerken.
Genau das, aber auch die Nachrichten, die täglich von mehr Corona-Infizierten und mehr Toten berichteten, machten mir allerdings zu schaffen. Mehr noch, als dieses „Zum-Nichtstun-Verdammt-sein“. Was mich während der ersten Tage sehr beschäftigt und regelrecht deprimiert hat, waren die Schicksale der Menschen. So viele sind unmittelbar in ihrer Existenz bedroht. Eine Leere machte sich in mir breit – zugleich ein schlechtes Gewissen, dass es mir doch eigentlich gut geht. Ich kann schließlich nur keinen Sport treiben, bin aber gesund. Ich bin sonst ein so unglaublich positiver Mensch. Vielleicht war ich einfach ein bisschen zu viel im Netz unterwegs. Fakt ist aber: Ich habe gute Freunde in Italien, Spanien und in anderen Teilen der Welt, die momentan sehr unter der Situation leiden – das berührt mich und macht mich hilflos.

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ERLEICHTERT ZU HAUSE
Seit dem 20. März bin ich wieder zu Hause. Ich hätte auf Lanzarote bleiben können, da eine meiner besten Freundinnen dort ein freies Apartment hat. Aber ich wollte weg. Nach Hause zu meinen Lieben. Außerdem konnte ich mir auf der Insel nicht mehr sicher sein, wie lange noch die Möglichkeit bestehen würde, nach Deutschland zurückzufliegen. Außerdem ist meine Familie nun beruhigter, und wir können uns umeinander kümmern. Ich fühle mich hier einfach besser. Sicherer! Zuhause!
Die Absage der Olympischen und Paralympischen Spiele am 24. März hat mich und viele andere Sportler weltweit erleichtert. Wir können uns nun um die wirklich wichtigen Dinge kümmern – um unsere Familien und unsere Gesundheit. Die Absage vonseiten der japanischen Regierung und des Internationalen Olympischen Komitees war unausweichlich. Der Druck auf die Verantwortlichen war zuletzt immens gestiegen. Die erklärten Absagen einer olympischen Teilnahme vonseiten der Länder Kanada, Norwegen und Australien waren gut und richtig! Ich glaube nicht, dass in diesem Jahr noch irgendein großer Wettkampf stattfinden wird.

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LASST UNS EINANDER HELFEN
Wir erleben gerade eine Zeit, die niemand von uns bisher kannte. Viele müssen ihre Existenz komplett neu aufstellen. Physiotherapeuten bieten Skype-Sprechstunden an und sehen ihr finanziell oft nicht sehr großes Polster dahinschmelzen. Infizierte sitzen in Quarantäne, alle Menschen isolieren sich und halten Abstand voneinander. Home Office, Mundschutz und beunruhigende Gedanken, Zukunftsängste und eine große Unsicherheit füllen zurzeit die Tage der Menschen. Ich selbst bin nun viel zu Hause, treibe Sport, je nachdem, wie ich Lust habe.
Vor ein paar Tagen sagte Moderator und selbst passionierter Triathlet, Till Schenk bereits im Podcast von „Carbon und Laktat“, dass er momentan so lange ausschläft, wie zuletzt zu Teenager-Zeiten. Genauso geht es mir auch! Und warum? Weil wir es können! Es gibt momentan nicht viel zu tun. Ich sehe die Zeit als eine Art Saisonpause an – beschäftige mich mit Dingen, die mir Freude machen. Ich schreibe viel, beantworte Interviewanfragen, telefoniere mit Freunden, nehme an Online-Corona-Spieleabenden teil und freue mich jeden Tag auf die neusten Pocher-Influencer-Videos...

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EIN VORSICHTIGER BLICK IN DIE ZUKUNFT
Momentan werde ich oft gefragt, wie es für mich beruflich und sportlich weitergeht. Natürlich wirft die aktuelle Situation auch meine Pläne ordentlich durcheinander. Tokio, Kona – das alles muss neu geplant werden. Beruflich bin ich mit der Bundeswehr in Verhandlungen. Ab Herbst werde ich Teil des Teams, welches sich um die Organisation der Invictus Games 2022 bzw. 2023 in Düsseldorf kümmert. Inwiefern sich eine Vorbereitung auf Tokio – so die Spiele denn 2021 tatsächlich stattfinden – sowie meine Langdistanzpläne damit vereinbaren lassen, wird sich zeigen. Auf jeden Fall sind noch viele Überlegungen notwendig. Keinen Sport treiben zu können, ist zurzeit jedenfalls ein Luxusproblem und rückt ein Stück weit in den Hintergrund.

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